Wir freuen uns sehr dir hier ein bisschen mehr über Blind Yoga zu erzählen. Wir haben Johann Mühlbauer in Nürnberg kennengelernt und sind von seiner Lebensfreude, Motivation und seinem Alltag sehr inspiriert. Zusammen durften wir ein tolles Projekt starten und Hansi über seine Blind Yogapraxis für diesen Text interviewen. Parallel erscheint sein erstes Youtube Video auf unserem Kanal.
Was du unter Blind Yoga verstehen kannst
Für uns ist es wichtig, die Tradition des Yogas für alle zugänglich zu machen. Blind Yoga richtet sich an Menschen mit einer Seheinschränkung genauso wie an Sehende Menschen. Die Erfahrung, einmal eine Yoga Einheit mit geschlossenen oder verbundenen Augen zu machen ist etwas ganz besonderes und stärkt dich in deiner körperlichen Erfahrung. Während dem Dreh für unsere Youtube Videos waren wir sehr inspiriert. Den Yoga Bolster als Anker auf der Matte? Wie orientierst du dich mit geschlossenen Augen während deiner Yoga Praxis? Hansi erzählt dir, welche Vorteile Blind Yoga für jede:n haben kann.
hejhej: Hansi, erzähl uns gerne mal kurz etwas über dich.
Hansi: Ich heiße Johann Mühlbauer, gerne Hansi, bin 43 Jahre alt und wohne in Nürnberg. Auf Grund eines Tumors bin ich mit 2 ½ Jahren erblindet. Ich praktiziere seit 21 Jahren als Physiotherapeut, bin Blockweise als Dozent an einer Schule für Physiotherapeut:innen tätig und betreibe seit 2014 die Wildnisschule Abenteuer-wildnis, wo wir neben der Ausbildung zur Wildnis- und Erlebnispädagog:in, auch Aktionen an Schulen und Kindergärten, teambildende Maßnahmen für Firmen usw. anbieten. Außerdem bin ich noch Frontsänger einer Rockband in Nürnberg (The Dehydrators). Mit meinem Hund Mickey lebe ich selbstständig in einer 2-Zimmer-Wohnung. 2019 habe ich meine Ausbildung zum Yogalehrer abgeschlossen und integriere seither die Yogische Philosophie in alle meine Lebensbereiche.
Wildnispädagogik bedeutet die Auseinandersetzung mit der Äußeren und Inneren Natur. Nur wenn ich mit mir klar komme, komme ich auch mit der äußeren Umwelt klar. Für mich ist Yoga und Wildnispädagogik sehr gut vereinbar. Dort binde ich oft Yoga Praktiken mit ein, um in den Flow zu kommen.
hejhej: Warum sollten Sehende Menschen auch Blind Yoga ausprobieren?
Hansi: Sehende Menschen nehmen meines Wissens ca. 90% der Wahrnehmung über den Visus wahr, also über das Auge. Deshalb ist es sehr spannend, diesen Sinn einmal auszublenden und sich vollkommen auf die restlichen Sinne zu konzentrieren. Wie nehme ich die Asana wahr? Kann ich leichter auf meiner Matte bleiben? Bin ich mehr bei mir? Du entwickelst somit eine gesteigerte Achtsamkeit und deine Wahrnehmungen dürfen sich nach innen kehren. Ich hab ein bisschen die Befürchtung, dass oft Sehende Menschen beim Yoga trotzdem viel nach Rechts und Links schauen und überprüfen müssen, ob sie es richtig machen. Wenn du merkst, dass das bei dir der Fall ist, probiere unbedingt mal die Blind Yoga Videos auf Youtube aus.
hejhej: Wie bist du auf die Idee gekommen, eine Yogalehrerausbildung zu machen und wie war das für dich?
Hansi: Früher habe ich eine verquere Sicht auf Yoga gehabt: hauptsächlich Frauen, anstrengende Asanas, esoterisch,… Das erste Mal bin ich ca. 2012 mit Yoga in Verbindung gekommen und es hat mir direkt sehr viel Spaß gemacht. Ca. 2014 bin ich dann ins Acroyoga gestoßen. Ca. 2018 hatte ich sehr viel Zeit mich um mich zu kümmern, aufgrund einer Borreliose Erkrankung, und habe so sehr viel Yoga für mich gemacht. Dann bin ich in ein Yogastudio in Nürnberg (MyShanti) gekommen und habe dort lange Personal Yoga genommen. Mein Interesse zum Yoga ist einfach immer intensiver geworden. Über die Yogaschule Vyana habe ich dann eine passende Ausbildung für mich gefunden. Vyana Yoga ist ein sehr achtsamer Yoga Stil, viel Pranayama. Yoga ist mehr als nur Asanas, gleichzeitig darf aber jede:r wie er oder sie will. Das ist ein wichtiger Satz für mich. Ich bekomme ein Problem, wenn man mir etwas aufzwingen möchte. In der Vyana Yoga Ausbildung habe ich mich sehr wohl und angenommen gefühlt. Ich war der einzige Blinde in der Ausbildung. Dadurch, dass ich meistens der einzige Blinde bin, ist das für mich Alltag und ich habe mich daran gewöhnt. Wie ich damit umgehe, ist Phasen- und Tagesabhängig. Machmal verunsichert es mich mehr, manchmal weniger.
hejhej: Was wünscht du dir für ein Angebot für Yoga für Blinde?
Hansi: Es hängt sehr viel von den Lehrer:innen ab. Vor allem von der präzisen Ansage. Das ist für blinde Menschen ganz wichtig, das einfach ganz klar angesagt wird. Die Klassengröße sollte so groß sein, damit man das Gefühl hat, man wird beobachtet und korrigiert. In meinem Youtube Video für hejhej habe ich auch so genau wie möglich angesagt, so dass es wirklich zum blind mitmachen ist. Die Vielfältigkeit der Angebote ist definitiv ein Punkt damit für jede:n ein Yoga Angebot dabei sein kann.
In den letzten Jahren habe ich viel Online Yoga praktiziert, weil es für mich sehr bequem ist und mir unheimlich gut tut. Der Zeitaufwand der Strecken mit U-Bahn etc. ist einfach so viel geringer, deshalb komme ich mehr zum Yoga. Ich persönlich würde aber jede:r, die noch nie einen z.B. Sonnengruß gesehen hat, dazu raten am besten Live, vielleicht sogar im 1:1 Setting, die Praxis am eigenen Körper zu erfahren. So bin ich zum Yoga gekommen.
hejhej: Was gibt dir Yoga?
Hansi: Viel. In der Praxis wirklich Freude über die Überwindung. Die Freude über Zeit die ich mir für mich genommen habe. Das Gefühl, eine Reise für sich gemacht zu haben, zu sich selbst hin. Eine Möglichkeit, seinen Körper besser kennenzulernen, was natürlich zwei Seiten haben kann. Ich bin oft überrascht, was alles zum Yoga gehört und wie oft es doch in meinem Alltag eine Rolle spielt.
Während dem Spazieren gehen stelle ich mich oft mal ganz bewusst hin und fühle in meinen Körper rein und frage mich: Wie stehe ich? Wie sind meine Schultern? Wie geht es mir gerade? Das habe ich vor meiner eigenen Yoga Praxis noch nicht gemacht.
hejhej: Woher ziehst du deine Motivation und den positiven Tatendrang?
Hansi: Ich selbst sehe mich oft gar nicht aktiv im Alltag. Das Gespräch mit meiner Freundin hilft mir hier viel. Außerdem wenn jemand wie Sophie von hejhej auf mich zukommt, fällt es mir leicht los zu springen und dabei zu sein. Die Eigenmotivation ist mir aber leider etwas verloren gegangen durch die Zeit von Corona. Ich bin ein Mensch, dem es schwer fällt, mit dem klar zu kommen, was ich gerade habe. Deshalb probier ich gerne neue Dinge aus. Alles was ich tue, mache ich oft, ohne mich groß vorzubereiten, weil meistens, wenn ich spontan bin, ganz gut bin (sagt meine Freundin). Ich weiß ja, dass meine Praxis blind funktioniert.
hejhej: Wie war der Youtube Dreh für dich?
Hansi: Danach habe ich mich so gut und super gefühlt. Über Sophies Nachricht habe ich mich sehr gefreut. Davor war ich etwas nervös, währenddessen habe ich mich aber sehr gut und wohl gefühlt. Das Leben ist eben wie eine Welle, mal schmeißt’s dich runter, mal surfst du echt lange, mal bist du stark aufgeregt und mal in Ruhe. Bei unserem Projekt habe ich mich vor allem darüber gefreut, neue Leute kennenzulernen und mich in einem anderen Rahmen ausprobieren zu dürfen. Es war einfach sehr nett mit euch.
hejhej: Was möchtest du gerne noch zum Abschluss loswerden?
Hansi: Wenn du offen bist, kannst du immer von anderen lernen. Vor allem in der Wahrnehmung. Das erkenne ich oft in dem Gespräch mit meiner Freundin. Sie hat zum Beispiel die Barrieren im Alltag besser kennengelernt und ich habe bis vor zwei Jahren noch gedacht, die Sterne am Himmel sehen genauso aus wie der Stern, den ich vom Christbaum haptisch kenne. Menschen mit und ohne Behinderung können immer was voneinander lernen. Ich möchte sehenden Menschen sagen, dass ein blinder Mensch auch nicht nur blind ist, sondern ein individueller Mensch und eben zusätzlich blind.
Wir sind sehr inspiriert und so dankbar für die Erfahrung, die wir mit Hansi machen durften. Die Youtube Videos mit Hansi gemeinsam zu drehen war wirklich etwas besonderes für uns. Wir freuen uns sehr, sie endlich mit dir teilen zu können. Schaue direkt mal auf Youtube vorbei und schreibe dort unter die Kommentare, was das Blind Yoga heute für dich gebracht hat. Danke Hansi für deine Zeit und Offenheit!
3 Fragen an Hansi
Dieser Satz hat mich sehr inspiriert: Wer atmen kann, kann Yoga machen.
Tollster Yoga Workshop: An Silvester 108 Sonnengrüße.
Lieblingsasana: Der Baum. Wie stehe ich im Leben? Warum wackel ich gerade? Was brauche ich um stabil aber nicht starr zu sein? Der Baumstamm ist stabil und verwurzeln aber der Wind darf damit spielen und auch mal wackeln darf aber nicht umfällt. Wenn ich merke dass es mir gerade überhaupt nicht gut geht, dann praktiziere ich oft den Baum oder umarme auch Bäume. Das ist total schön und gibt mir sehr viel.
Hier erfährst du mehr über die Ausbildung zum Wildnispädagoge
Ein Buch über Johann Mühlbauer: Was du nie siehst
Dokumentation über den Alltag von Johann in der Medienwerkstatt Franken
Wenn du weitere Fragen zu Hansi hast, schreib uns gerne per Mail.